timo-janca
Erfüllt mit den Glücksgefühlen der vergangenen Streifzüge durch die nordöstliche Slowakei stand ich in Bardejov. Begonnen hatte die frohe Erkundung an den vernebelten Hängen der südlichen Tatra. Mit Mantel und Regenschirm war ich die verschlungenen Pfade hinaufgeeilt, um den heute nicht so weiten Blick in die Landschaft zu genießen. Auf Schieferplatten war es bis zu einem der Bergseen gegangen, der ebenso im Nieselregen verhangen war. Hier hatte ich mich zwischen den gelben Moosen auf einer Steinplatte niedergelassen und auf die düstere milchige Wand gestarrt, bis sich der Vorhang erhoben und einen freien Blick auf die ganze von Steinblöcken umrahmte Wasserfläche freigegeben hatte. Für dieses eine Foto hatte es sich gelohnt, über die rutschigen Abgründe geklettert zu sein. Glänzender Sonnenschein hatte mich hingegen im Paradies empfangen. Über Holzstege war man förmlich über dem fließenden Wasser geschwebt. Und zuletzt hatte die Festungsanlage in Spissky Hrad mit ihren markanten Türmen und dem über den ganzen Berghang fließenden Mauerkonstrukt beeindruckt. Schließlich endete mein Weg im mittelalterlichen Bardejov.
Von hier aus war die Heimreise nach Danzig geplant. Nun stand ich am Busbahnhof mit meinem doppelt ausgedruckten Busticket. Doch der Bus kam nicht. Ratlos sah ich mich um. Die Leute kamen und gingen. Für jeden stand eine passende Buslinie bereit. Schließlich begann ich die Umstehenden zu befragen. Die einen verstanden meine seltsame Sprache nicht, die anderen wussten nichts von einem Bus nach Polen. Zuletzt hatte ein Busfahrer die Antwort. Das Unternehmen hatte einfach beschlossen, die Reisen nach Polen auszusetzen. Vielleicht wegen Korona. Wie sollte ich denn aber zurückkehren? Der Fahrer wusste keinen Rat, stattdessen begleitete er mich zum Kiosk. Soweit ich verstand, arbeitete dort eine Polin. Eine Landsfrau würde mir ja wohl weiterzuhelfen wissen, so dachte er. Leider war ich aber ein Deutscher, der gerade ein paar erste Brocken Polnisch gelernt hatte. Die Verkäuferin und ich tauschten diverse Worte, die irgendwann die Situation korrekt erfassten. Kurz entschlossen packte sie mich beim Arm, schloss ihren Laden ab und marschierte mit mir zur Ticketverkaufsstelle. Dort ergaben sich diverse Routen. Ich bedankte mich bei meiner Landsfrau und ließ mir noch ein drittes Mal die mögliche Route erklären. Eigentlich gab es nur den Weg in die nächste größere Stadt Kosice zu nehmen. Dort würde mir bestimmt jemand weiterhelfen können.
Also tuckerte der Bummelzug los und nach ein paar Stunden war ich dann zwar weiter von der polnischen Grenze weg als zuvor, aber immerhin stand hier ein moderner Bahnhof. Am Schalter kam die rasche Erlösung. Busverbindungen nach Polen waren pandemiebedingt untersagt worden, aber man konnte ja mit dem Expresszug nach Tschechien reisen, denn dort war die Einreise nach Polen ohne Einschränkungen möglich. Dazu müsste ich in einem kleinen Ort, dessen Namen ich vergessen habe, umsteigen. Diesem Plan stimmte ich zu. Schon bald saß ich erleichtert im gemütlichen Reisesessel des Schnellzuges und starrte auf die allmählich in die Dämmerung fallende Landschaft der slowakischen Zentralebene. Dann war es Zeit auszusteigen. Ein kleines, kahles Bahnhofsgebäude erwartete mich. Es war schwer zu glauben, dass sich hier die Zugtrassen dreier europäischer Staaten kreuzten. An den Enden dieser Strecken lagen immerhin solche regionale Zentren wie das slowakische Kosice, das tschechische Prag sowie mein erster Anlaufpunkt in Polen, Katowice. Da ich noch zwei Stunden Wartezeit hatte, beschloss ich eine Art Stadtbesichtigung, auch wenn der Bahnhof wenig versprach. Ein kleines Rathaus war zu finden, dann noch eine kleine Backsteinkirche. Neugierig trat ich hinein. Eine nüchterne Bestuhlung sowie ein hübsches Altargemälde war zu sehen. Doch auch der Pastor war anwesend. Rasch kamen wir in ein Gespräch. Schon wollte er mich in sein Pfarrershaus einladen, doch drängte die Zugfahrt zum Aufbruch. Ermutigt durch ein anregendes Gespräch durchstreifte ich die nächtlichen Gassen zum Bahnhof.
Und auf einmal war ich wieder in Polen. Dies war vielleicht der einzige Moment in meinem Leben, das mir Polen wie eine Heimat vorkam, in welche ich unter umständlichen Strapazen zurückgekehrt war. Schon stand ich in dem gläsernen Bahnhof von Katowice. Erneut die spannende Frage am Bahnhofsschalter, wann ich auf meinen Umwegen weiter an meinen Wohnort in Danzig gelangen konnte. Zum Glück fand sich eine Verbindung. Natürlich gab es Wartezeit. Also konnte ich noch einen Mitternachtssnack erwerben. Als ich da so in der Schlange einer bekannten Imbisskette stand, rief mir jemand in den Rücken. Nein, ich wurde gegrüßt. Fröhlich lachend stand Misha dort. Diesen Freund hatte ich vor einigen Jahren während meiner Arbeit im Nordkaukasus kennengelernt. Ich wusste, dass er wegen seiner Liebe zu einer Polin in die Nähe von Katowice gezogen war, aber gesehen hatten wir uns seither kaum noch. Tja, er habe eben eine Fortbildung seiner Firma besucht und sei dann noch mit seinem Kumpel einen Absacker trinken gegangen. Nun auf dem Weg in seine jetzige Heimatstadt müsse er auf seine Bahn warten und habe ebenso ein wenig Zeit zum Snacken. Spätestens in diesem Moment vergaß ich meine anfängliche Niedergeschlagenheit, die mich in Bardejov ereilt hatte. Fast freute mich das herrliche Reisechaos, hatte ich dadurch doch einen freundlichen Pastor sowie einen lange vermissten Freund getroffen. Und so saßen wir auf meinem Bahnsteig, stopften uns die Burger rein und tranken das sirupversetzte Wasser, das mir wohl zum ersten und letzten Mal wie ein Festmahl vorkam, tauschten uns über unser Ergehen aus. Dann musste mein Freund seine Bahn besteigen. Mit ein wenig Musik auf den Ohren erwartete ich meinen Zug, der mich quer durch das westliche Polen nach Danzig brachte.
So gerne ich stets meine Reisen akribisch vorbereite, hier habe ich wieder mal gemerkt, dass uns die schönsten Erlebnisse erst dann erreichen, wenn wir loslassen, dem Chaos Raum geben und den richtigen Mitmenschen, wie der polnischen Kioskbesitzerin in Bardejov, begegnen. Ob sie die Slowakei als ihre Heimat sieht, hätte ich meine Fastlandsfrau noch fragen können …